Was hören unsere Schüler?

Hörverständnis ist bei uns in der ersten Zeit das Wichtigste.

Aber was hören unsere Schüler eigentlich?

Das kann man sehr leicht selber ausprobieren: Lasst Euch von ihnen ein Wort in ihrer Sprache sagen, oder auch einen Namen.

Bei mir ist es so: Die erste Silbe höre ich gut. Die zweite halbwegs, und der Rest verschwindet im Kauderwelsch. Mehr zu hören erfordert Training. Da arbeiten wir ja sehr intensiv dran, aber wir dürfen nicht erwarten, dass es sehr schnell geht.

Es hat aber einige Konsequenzen für den Anfangsunterricht: Worte mit 4 Silben sind ganz schön schwer. Ein Wort mit 5 Silben sollten wir vermeiden. Das sind ja auch in der Regel zusammengesetzte Worte, und da kann man einfach prüfen, ob es nicht ein Teilwort auch tut.

Das Wort „Bushaltestelle“ kann man z.B. durch „Haltestelle“ ersetzen. Das hat den Vorteil, dass sie das große H, das an jeder Haltestelle ist, wiedererkennen können. Und es ist auch eindeutig: Ein Zug hält nämlich am Bahnhof, ein Bus an der Haltestelle. Wenn es wichtig ist, dass sie den Unterschied zwischen Bahnhof und Haltestelle kennen, kann man eine Satzübung machen:

„Wo steht der Bus?“ Dann müssen sie auf das Bild von der Haltestelle zeigen.

„Wo steht der Zug?“ Das Bild vom Bahnhof

„Wo steht das Auto?“ Ampel

Wir sprechen dann die ganze Phrase: Auf dem Bahnhof, an der Haltestelle, an der Ampel…

u.s.w.

Auch im Satz hören unsere Schüler nicht jedes Wort.

Die Aufgabe war: „Leg die Nudel in die Dose“. Das konnten sie. Aber dann habe ich gesagt: „Leg die Nudel AUF die Dose“. Da wussten sie plötzlich nicht mehr weiter. Mir war in diesem Moment auch nicht klar, wo das Problem lag. Ich habe einfach „in“ und „auf“ mehrfach geübt, und das haben sie dann auch verstanden und richtig gemacht.

Erst hinterher wurde mir klar, was los war: Sie haben einfach gehört: „leg – Nudel – Dose“. Und der gesunde Menschenverstand legt die Nudel IN die Dose. Dass da ein weiteres Wörtchen war, mussten sie erst mitbekommen.

Und das ist keine Kleinigkeit. Wenn unsere Schüler das nach ein paarmal Üben tatsächlich hinbekommen, ist das Schwerstarbeit und erfordert hohe Konzentration.

Wenn unsere Schüler an solch einer Stelle plötzlich ins Stocken kommen, kann das für uns ein Hinweis sein, dass dies ein neuer Lernschritt ist. Manchmal haben wir ihn vorausgesehen, manchmal auch nicht. Aber dadurch, dass sie auf unser Reden reagieren müssen, können wir erkennen, wo das Problem liegt und überlegen, wie wir es lösen können. Sehr hilfreich sind an diesem Punkt auch die Diskussionen, die sie untereinander führen. Selbst, wenn wir sie nicht verstehen: Sie versuchen gemeinsam das Problem zu lösen, und meist gelingt es ihnen dann auch.

An einer anderen Stelle vereinfacht dies den Anfangsunterricht:

Wir brauchen uns nicht groß Gedanken über die Wortendungen zu machen. Natürlich sollen wir die richtigen benutzen. Wenn ich sage „ich arbeite“ oder „er arbeitet“, hören unsere Schüler „ich“ und „er“ heraus. Darauf können sie reagieren. Die Endung bekommen sie erst nach und nach mit. Sie werden sie ggf. auch falsch wiedergeben. Das sollten wir in diesem Fall nicht verbessern. Erst, wenn sie so weit sind, dass sie es sicher hören, kann man sich damit beschäftigen, dass sie es auch sicher wiedergeben.

Und: Dass sie sich ÜBERHAUPT trauen zu sprechen, ist viel wichtiger als dass sie richtig sprechen. Draußen in der freien Wildbahn werden sie auch mit falschen Endungen verstanden. Aber wenn sie gar nicht sprechen, versteht sie auch keiner, und dann bekommen sie auch keine Übung. Deshalb sollten wir auch keinerlei Druck ausüben, dass sie sprechen müssen. Wenn sie so weit sind, werden sie es tun. Und da hat jeder sein eigenes Tempo.

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Eine Antwort zu Was hören unsere Schüler?

  1. Volker sagt:

    Das sind sehr wichtige Beobachtungen, ich könnte ähnliche Beispiele anführen. Ganz wichtig ist es, noch zwei Dinge zu beachten:
    1) Worte die bekannt klingen, weil sie bereits von den Lauten her als ein Wort erkannt werden, können als Wort erkannt werden, und nicht nur als akustisches Ereignis.
    2) Phoneme (= bedeutungsunterscheidende Laute) aus der eigenen Sprache, meist aus der Muttersprache, werden gehört und als solche Laute auch erkannt. Kurz geantwortet: Unsere Schüler können am Anfang nur IHRE Phoneme verstehend hören.
    Klingt sehr nach Sprachwissenschaft, ist es auch.
    Vgl. auch meinen Post vom 23. November, Aussprachetraining für Syrer.

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