Das „schnelle Dutzend“ – ich kann mir das nicht so richtig vorstellen
Hier eine ausführlichere Beschreibung der Sprachlernübung „schnelles Dutzend“ (Diese Übung wird auf Seite 9 in „Flüchtlinge lernen Deutsch“ vorgestellt).
Wir zeigen hier am Beispiel der Raumbezeichnungen im Haus einige Grundprinzipien auf, die beim „schnellen Dutzend“ wichtig sind.
Ein Pate und mehrere Lernende sitzen also zusammen vor dem Plan eines Hauses oder einer Wohnung. Wenn der Pate einfach herunterrattert: „Dies ist die Küche; dies ist die Toilette; dies ist der Eingang; dies ist die Tür; dies ist das Wohnzimmer; dies ist die Toilette…”, werden die Lernenden mit einer unverständlichen Sprachflut überschwemmt. Sie können das Gehörte nicht verarbeiten, und sich schon gar nicht merken. Wenn der Pate sagt: „Dies ist die Küche, Küche, Küche, Küche, Küche, Küche, Küche, Küche, Küche, Küche, …” wird dies sehr schnell langweilig. Auch nicht sehr nützlich.
Stattdessen schlagen wir folgende Art von Übung vor: Wir sitzen zusammen vor dem Plan des Hauses. Der Pate beginnt mit zwei Räumen, z.B. mit Küche und Toilette. Er sagt: „Dies ist die Küche und dies ist die Toilette”, und zeigt dabei auf den jeweiligen Ort auf dem Plan. Er wiederholt das ein paar Mal. Dann fragt er die Lernenden: „Wo ist die Toilette? Wo ist die Küche?” Sie antworten entsprechend, nicht in Worten, sondern indem sie auf die genannten Orte zeigen. Da wir von Anfang an zwei Möglichkeiten haben, unter denen die Lernenden wählen müssen, sind sie gezwungen, das Gehörte zu verarbeiten.
Wenn wir andrerseits mit zu vielen Möglichkeiten anfangen, können sich die Lernenden nicht alles merken. Mit einer anfänglichen Auswahl von zwei bis maximal drei Räumen ist es möglich, das Gehörte zu verarbeiten.
Der Pate fragt also ein paar Mal: „Wo ist die Toilette? Wo ist die Küche?” Die Lernenden zeigen jeweils auf die Toilette und auf die Küche. Dann sagt der Pate ein paar Mal: „Dies ist die Toilette, dies ist die Küche, dies ist der Eingang.” Dann fragt er: „Wo ist die Toilette? Wo ist die Küche? Wo ist der Eingang?” Er fügt dann einen vierten Raum hinzu usw.
Wenn er die Namen der Räume immer in der gleichen Reihenfolge sagt, und dann auch in der gleichen Reihenfolge abfragt, dann braucht sich der Lernende nur die Reihenfolge zu merken. Er kann problemlos richtig zeigen, ohne das Gehörte verarbeitet zu haben.
Um den Lernenden zu zwingen, das Gehörte zu verarbeiten, müssen die Fragen in willkürlicher Reihenfolge gestellt werden. So kann der Lernende zuhören, verarbeiten und dann richtig reagieren. Er lernt die Sprache, indem er sie verarbeitet.
Abschließend hier noch einmal die Regeln für das „schnelle Dutzend“:
- Der Pate beginnt mit zwei Ausdrücken.
- Er führt danach immer nur einen neuen Ausdruck auf einmal ein.
- Der neue Ausdruck wird zusammen mit den schon bekannten viele Male wiederholt.
- Die neuen Ausdrücke werden viele Male abgefragt, in willkürlicher Reihenfolge und vermischt mit Fragen nach bereits bekannten Ausdrücken.
(aus Kickstarting your Language Learning, von Greg Thomson 1993, Deutsch von Kathrin Pope)
Das Lernen einer Sprache ist für Erwachsene harte Arbeit. Man kann sie ihnen erleichtern durch eine angenehme Atmosphäre und spielerische Methoden im Unterricht. Aber Spiele können die Arbeit nicht ersetzen. Der Schüler muss sich anstrengen. Das Lernen von Vokabeln ist mühsam, aber unvermeidlich. Wer Mühe und Frustration scheut, wird nur im Schneckentempo vorankommen. Wer nur zwei Vokabeln auf einmal verkraftet und auf bessere Laune wartet, bis er weitermacht, wird Jahrzehnte brauchen, bis er sich nur halbwegs verständigen kann. Wer in einem halben Jahr mit einer Arbeitsstelle, einer Ausbildung oder einem Studium beginnen will, muss richtig losklotzen. Für dieses Ziel erscheint mir die beschriebene Thompson-Methode ein Hindernis zu sein, kein Hilfsmittel. Noch letztens bekam ich Werbemails von einer Sprachschule, die behauptete, mit ihrer Methode könne man mit 20 Minuten am Tag in einem Jahr auf C-1-Niveau (Muttersprachler) kommen. Meiner Ansicht nach ist das völlig unmöglich. Jeder hätte zwar gerne eine Methode, mit der man mühelos und mit Vergnügen in kürzester Zeit einZiel erreicht. So etwas gibt es aber nirgendwo, es gibt nur immer wieder Leute, die es glauben möchten. Wer in der Realität etwas erreichen will, kann es nur unter realen Bedingungen. Der Erfolg des Deutschunterrichts für Asylanten hängt davon ab, dass er realistisch konzipiert wird.
Ich möchte nur mal ergänzen, weil wir immer wieder Neue haben, die sich hier reinlesen: Das Schnelle Dutzend ist alles Andere als Spielerei und erfordert viel Konzentration. (Es werden ja auch 12 Worte auf einmal gelernt. Nicht zwei. Zwei liegen nur als Erstes auf dem Tisch.) Wer nicht aufpasst, bekommt ganz schnell Schwierigkeiten.
Das schnelle Dutzend bewährt sich vor allem in einer Phase, in der das Sprechen noch schwierig ist. Und es ermöglicht dem Lehrenden, genau zu erkennen, was verstanden wurde, und was nicht, welche Worte verwechselt werden und häufiger geübt werden müssen, u.s.w.
Dass man es mit dem Sprechen am Anfang nicht übertreiben soll, hat einen ganz einfachen Grund: Wenn unsere Leute in einer Gruppe zu sechst sind, und der Reihe nach etwas nachsprechen, hören sie es in der Regel 5x falsch, und man muss sich nicht wundern, wenn die Aussprache darunter leidet.
Wenn sie das schnelle Dutzend machen, hören sie das gleiche Wort 10x richtig. Sie lernen nach und nach überhaupt erst die deutschen Laute zu unterscheiden. Und erst, wenn sie diese sicher hören, macht es Sinn, selber zu sprechen.
Ich sehe manchmal, wie Leute sich in den ersten Tagen des Sprachunterrichts abquälen, etwas zu sprechen. Und man müsste eigentlich ständig verbessern, was nur noch mehr frustriert. Und bis es ernsthaft besser wird, das dauert…
Mit dem schnellen Dutzend, TPR-Übungen und ähnlichen Übungen, die das Hörverständnis trainieren, schafft man gute Voraussetzungen, um ein paar Wochen später das Sprechen mit einem Bruchteil des Aufwands zu lernen.
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